StrahlenTelex [ Strahlengefahr für Mensch und Umwelt ]

 











 

Bericht Nr. 21-22 des Otto Hug Strahleninstitutes, ISSN 0941-0791

Gesellschaft für Strahlenschutz e.V. (GSS) Berlin, Bremen April 2000, 120 Seiten, EURO 16,oo.

Bettina Dannheim, Bernd Franke, Helmut Hirsch, Wolfgang Hoffmann, Wolfgang Köhnlein, Horst Kuni, Wolfgang Neumann, Inge Schmitz-Feuerhake, Angelika Zahrnt:

Strahlengefahr für Mensch und Umwelt

Bewertungen der Anpassung der deutschen Strahlenschutzverordnung an die Forderungen der EU-Richtlinie 96/29/Euratom

Dieser Bericht wurde erstellt im Auftrage des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND), der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW) e.V., der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. und der Rechtshilfegruppe Gorleben e.V.

Wissenschaftliche Koordination und Redaktion dieser Ausgabe: Bettina Dannheim

.

Inhalt

Zusammenfassende Bewertung

Summary

Autorinnen und Autoren

Bestellen

Zurück zum Anfang

Inhalt:

Angelika Zahrnt, Vorsitzende des BUND, Vorwort: Schützt uns, nicht die Atomkraft

Bettina Dannheim, Helmut Hirsch: Einleitung

Wolfgang Köhnlein: Die Aktivitäten und Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP)

Bettina Dannheim, Wolfgang Hoffmann: Grenzwerte beruflicher Strahlenbelastung

.

.

Horst Kuni: Wichtungsfaktoren

Inge Schmitz-Feuerhake: Bewertung neuer Dosisfaktoren

Wolfgang Neumann: Die Freigabe von schwachaktiven Reststoffen für den konventionellen Umgang auf der Grundlage des 10 µSv-Konzeptes

Bernd Franke: Die Regelung der Freigabe radioaktiver Stoffe in der geplanten Novellierung der Strahlenschutzverordnung im internationalen Vergleich

Zurück zum Anfang

Zusammenfassende Bewertung

Der Entwurf zur Novellierung der Strahlenschutzverordnung, Stand April 2000, ist in vielen Bereichen enttäuschend. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse, die zeigen, dass die gesundheitlichen Folgen von Niederdosisstrahlung unterschätzt werden, wurden nicht angemessen berücksichtigt. Der Grund für den unzureichenden Schutz für die Betroffenen ist in der naht- und kritiklosen Übernahme der Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP) zu sehen, auf denen die Strahlenschutzregelungen der Euratom-Grundnorm beruhen. Obwohl diese Grundnorm den Mitgliedsstaaten gestattet, im einzelnen strengere Regeln zu erlassen, wird davon nur selten Gebrauch gemacht und die in vielen Fällen allzu durchsichtige Interessenpolitik der ICRP nicht überwunden.

Der Entwurf der Strahlenschutzverordnung vom April 2000 sieht vor, den Jahresgrenzwert für beruflich Strahlenbelastete um den Faktor 2,5 von bisher 50 auf 20 Millisievert (Effektivdosis) pro Jahr zu senken. Diese in anderen europäischen Ländern längst erfolgte Absenkung ist unzureichend. Bereits Mitte der 80er Jahre hatte sich herausgestellt, dass die strahleninduzierten Krebsraten in den als Referenzkollektiv geltenden japanischen Atombombenüberlebenden etwa zehnmal höher lagen, als vorher angenommen. Daraus ergab sich die Forderung nach einer entsprechenden Senkung des Grenzwertes. Gestützt wurde diese Forderung durch Untersuchungsergebnisse großer Gruppen von Beschäftigten in Nuklearanlagen, die trotz Einhaltung der geltenden Grenzwerte unerwartet hohe Krebsraten zeigten. Der jetzt vorgesehene Grenzwert ist angesichts der Evidenz der schon eingetretenen Schädigungen nicht vertretbar.

Strahlungswichtungsfaktoren sollen verschiedene Strahlenarten vergleichbar machen, deren Wirkungen bei gleicher Energiedosis verschieden stark sein können. Locker ionisierende Strahlung (Beta, Gamma, Röntgen) wird nach wie vor gleichgewichtet (Wichtungsfaktor 1), obwohl sie einen sehr großen Energiebereich überstreicht und nachweislich für zahlreiche stochastische Effekte große Unterschiede zeigt. So wird trotz jahrelanger umfangreicher Kritik die Unterbewertung der Äquivalentdosis für den besonders niederenergetischen Betastrahler Tritium beibehalten. Auch die Tatsache, dass die Strahlenbelastung der japanischen Überlebenden durch eine besonders hochenergetische und damit weniger effektive Gammastrahlung erfolgte, wird ignoriert. Zwischen niederenergetischen Strahlenexpositionen und dem Bereich des viel benutzten Referenzkollektivs kann ein Unterschied in der Wirksamkeit von bis zu einem Faktor 5 bestehen. Dennoch werden die Dosiswirkungszusammenhänge von Hiroshima und Nagasaki einfach auf die anderen Situationen übertragen.

Für Alphastrahlen und Neutronen wird maximal ein Wichtungsfaktor 20 eingesetzt, obwohl sie sich im Niederdosisbereich im Vergleich zu Röntgenstrahlen als sehr viel wirksamer gezeigt haben. Die nachgewiesenen karzinogenen Effekte der Höhenstrahlung beim Flugpersonal sind nur durch eine weit über 20 liegende Relative Biologische Wirksamkeit der Neutronen zu erklären. Auch in diesem Zusammenhang werden vorhandene wissenschaftliche Ergebnisse - die für Alphastrahler insbesondere bei Embryonen vorliegen - ignoriert.

Der angekündigte Entschluß des Verordnungsgebers, an den bisherigen Organgrenzwerten der (noch geltenden) Strahlenschutzverordnung festzuhalten und den Empfehlungen einer Anhebung nicht zu folgen, ist zu begrüßen. Erforderlich wäre es jedoch, die Organgrenzwerte analog zu den Grenzwerten der effektiven Dosis abzusenken. Konsequent müßten dann aber auch die Organgrenzwerte für beruflich strahlenexponierte Personen der Kategorie B abgesenkt werden, anstatt sie meist um etwa das Dreifache anzuheben.

Auch die Berechnung der Dosisfaktoren, die zur Ermittlung von effektiver Dosis und Organdosen für den Fall angeordnet werden, dass ein Radionuklid etwa durch Einatmen (Inhalation) oder durch Verschlucken (Ingestion) in den Körper gelangt, ist zu kritisieren. Ihr Unsicherheitsbereich ist sehr hoch. Das liegt daran, dass für den jeweiligen Standardmenschen einer Altersklasse die Angabe einer Art von Mittelwert angestrebt wird, der nicht notwendigerweise konservativ ist. Ein Vertrauensbereich für diese Faktoren wird nicht angegeben, obwohl durch sie zum Beispiel die Einhaltung von Grenzwerten überprüft werden soll, die auch für den individuellen Fall Geltung haben. Im Individualfall kann es bei manchen relevanten Radionukliden durchaus zu einer Dosisunterschätzung um den Faktor 100 kommen. Ein weiteres grundlegendes Problem ist darin zu sehen, dass es gerade für die strahlenempfindlichsten menschlichen Entwicklungsstadien, nämlich für Embryonen, keine Dosisfaktoren gibt.

Die Dosisfaktoren in der novellierten Fassung der Strahlenschutzverordnung stellen keine nachvollziehbare Verbesserung gegenüber den früheren Daten dar. Sie sind deshalb nach wie vor nicht geeignet, einen angemessenen Strahlenschutz für die allgemeine Bevölkerung und für exponierte Arbeitnehmer zu garantieren.

Im Rahmen der Novellierung der Strahlenschutzverordnung soll eine Regelung zur Freigabe schwachaktiver Reststoffe aus dem Anwendungsbereich des Atomrechtes in den konventionellen Umgang eingeführt werden. Die Freigabe schwachaktiver Reststoffe wird zwangsläufig zu einer Zunahme der Hintergrundstrahlenbelastung führen. Um dabei einen gewissen Strahlenschutz zu gewährleisten, wurde auf internationaler Ebene das sogenannte 10 Mikrosievert-Konzept entwickelt.

Es werden grosse Defizite in der vorgesehenen Freigaberegelung im Novellierungsentwurf der Strahlenschutzverordnung festgestellt. Ein Teil der Kriterien des 10 Mikrosievert-Konzeptes der EU-Richtlinie 96/29 wurde nicht umgesetzt. So wurde die Individualdosis von 10 Mikrosievert pro Jahr nur als Richtwert eingeführt und die Abgrenzung verschiedener Freigabevorgänge nicht ausreichend beachtet. Die Ableitung der Freigabewerte erfolgt nicht ausreichend konservativ, so dass Überschreitungen des Dosiswertes von 10 Mikrosievert um ein Vielfaches möglich sind.

Die in der Novellierung der Strahlenschutzverordnung vorgeschlagenen Werte liegen zum großen Teil um ein Vielfaches über den entsprechenden Richtwerten, die in Großbritannien auch nach der Implementierung der Euratom-Richtlinie 96/29 gültig bleiben. Die vorgeschlagene Regelung im Entwurf der Strahlenschutzverordnung ist deshalb abzulehnen; ein Moratorium bis zur Klärung der Unsicherheiten wird empfohlen. Das Beispiel Großbritannien zeigt überdies, dass für EU-Mitgliedsstaaten strikte Regelungen realisierbar sind.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg und die Rechtshilfegruppe Gorleben, die Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW) und die Gesellschaft für Strahlenschutz (GSS) halten den Entwurf zur Novellierung der Strahlenschutzverordnung für unzureichend und Nachbesserungen dringend geboten.

Summary

The April 2000 draft of the revision of the German Radiation Protection Ordinance is in many aspects disappointing. Recent scientific information about the impact of ionizing radiation was not adequately considered. The primary goal of a radiation protection ordinance should be to prevent or at least minimize adverse effects of radiation exposure. However, the draft revision does not appear to express a suitable level of consciousness relative to the problem and the degree of safety needed which one would expect from a government of social democrats and greens. It is obvious that the chance to improve the protection of human health was not sufficiently used.

The current draft of the revision of the German Radiation Protection Ordinance suggests to lower the radiation dose limit for workers by a factor of 2.5, from the current 50 millisievert to 20 millisievert per year (effective dose). Hence the German standard would be adapted to the level established in other European countries since several years. However, this does not ensure a sufficient level of health protection. Based on epidemiological surveys of Japanese A-bomb survivors and workers in the nuclear industry, a reduction of the limit for workers by a factor of 10 down to 5 millisievert per year would be mandated.

Weighting factors have an important impact on protection of human health as do dose limits. Weighting factors are based on the evidence that different types of radiation are associated with different biological effects even if the energy dose is identical. An adaptation of weighting factors incorporating the current knowledge in science has not taken place despite the potential adverse health impacts associated with this.

The obvious political intention of the German government to maintain the current limits of organ doses and this not to follow the proposed increases diminishes the impact of recommended organs and tissue weighting factors. It would be sensible though to limit the values for organ doses in analogy to the limits for effective dose. In consequence, organ dose limits for professionally exposed persons of category B would have to be reduced instead of the proposed increase by a factor of 3 for most.

The derivation of dose factors, which are necessary to calculate the effective dose and organ doses from incorporation of radionuclides by breathing (inhalation) or swallowing (ingestion), is regarded critically. Dosimetric information for embryos is lacking as well as gender specific data. The use of mean values without indication of confidence intervals is seen as e problem. The uncertainty in these factors is very large. In individual cases, doses could be underestimated by a factor of 100. The dose factors in the proposed revision of German Radiation Protection Ordinance do not represent an improvement relative to previous data. They are not suitable to adequately ensure a necessary level of radiation protection of the general public as well as those professionally exposed.

The proposed revision of German Radiation Protection Ordinance contains regulations for the clearance of low level radioactive materials which would no longer be covered by nuclear regulations and could be handled as other conventional materials. The clearance of radioactive material would increase the background radiation over time. To ensure a protection of the public, a dose limit of 10 microsievert per year was adopted in international conventions.

The proposed regulation of clearance is seen as greatly deficient. Criteria regarding the 10 microsievert concept in the EU Directive 96/29 were not implemented. The dose limit to individuals was implemented as guidance value only and the differentiation of various clearance options is not satisfactory. The derivation of clearance values is not sufficiently conservative so that the 10 microsievert limit could possibly be exceeded.

A comparison of the clearance values suggested for Germany with corresponding data derived for US agencies involved in radiation protection raise serious concern that the proposed values do not adequately ensure compliance with the dose criteria value of 10 microsievert per year. In some cases, radiation exposures resulting from clearance could be orders of magnitude larger than the dose criteria value.

The proposed values for clearance also mostly exceed the corresponding values in the United Kingdom, which remain valid even after the implementation of Euratom Directive 96/29. Thus, the proposed values are not acceptable, a moratorium is recommended until these discrepancies can be resolved. The British example also shows that strict regulations can be realized in EU member countries.

One may wonder why the evaluation of the proposed revision of the German Radiation Protection Ordinance is accompanied by critical review of the recommendations of the International Commission on Radiological Protection (ICRP). This is due to the fact that international conventions use ICRP recommendations form the basis for minimal standards in radiation protection.

Friends of the Earth Germany (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland -- BUND), the citizen group Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, the German section of the International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) and the Society for Radiation Protection (Gesellschaft für Strahlenschutz -- GSS) see the current draft revision as insufficient and strongly recommend major improvements.

Zurück zum Anfang

Autorinnen und Autoren:

Bettina Dannheim, Diplom-Biologin, Universität Bremen, Fachbereich 1, Medizinische Physik, b.dannheim@nwn.de

Bernd Franke, Diplom-Biologe, ifeu-Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH, bernd.franke@ifeu.de

Helmut Hirsch, Dr.rer.nat., cervus@t-online.de

Wolfgang Hoffmann, Dr.med., MD, MPH, Bremer Institut für Präventionsforschung, Sozialmedizin und Epidemiologie (BIPS E), Hoffmann@BIPS.Uni-Bremen.de

Wolfgang Köhnlein, Dr.rer.nat., Universitätsprofessor, Institut für Strahlenbiologie, Universität Münster, kohnlei@uni-muenster.de

Horst Kuni, Dr.med., Universitätsprofessor, Klinische Nuklearmedizin, Medizinisches Zentrum für Radiologie, Universitätsklinikum der Philipps-Universität Marburg, http://staff-www.uni-marburg.de/~kunih/, horst@kuni.org

Wolfgang Neumann, Diplom-Physiker, Gruppe Ökologie e.V., intac@t-online.de

Inge Schmitz-Feuerhake, Dr.rer.nat., Universitätsprofessorin, Universität Bremen, Fachbereich 1, Medizinische Physik, isf@physik.uni-bremen.de

Angelika Zahrnt, Dr.rer.pol., Vorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND), bund@bund.net

Zurück zum Anfang

oben bestellen

 
Strahlentelex
ISSN 09314288

Meine Artikel-Bestellung:Rot markierte Felder müssen ausgefüllt werden (Pflichtfelder)

Firma /
Einrichtung: 
Anrede: Frau     Herr
Vorname:
Name:
Land:
Ort / Stadt:
PLZ:
Straße, Nr.:
e-Mail:
Hier bitte nichts eintragen!
URL:
Bericht-Nr.:
Bemer­kungen: 
Hier bitte nichts eintragen!